Kinderfragen (inkl. Erklärung)

"Kinderfragen" erscheint mir rückblickend zu abstrakt, als dass der Inhalt
verstanden werden könnte. Im Allgemeinen lasse ich die Texte so stehen,
wie sie enstanden sind, obwohl ich oft genug den Drang verspüre, hier und
dort eine Politur anzusetzen. Die Gefahr, ihre Authentizität zu zerstören,
ist mir mit Sicht auf mache Ungereimtheit, doch einfach zu gross.

Albert Einstein wurde einmal nach seiner Meinung gefragt, mit welchen
Waffen der 3. Weltkrieg geführt werden würde. Seine Antwort war:
"Ich weiss nicht mit welchen Waffen der 3. Weltkrieg geführt werden wird,
aber der 4. Welkrieg wird mit Knüppeln und Steinen geführt werden."

Dieses Zitat hatte mich zu der Frage inspiriert, was denn wäre, wenn
man tatsächlich einer der "Glücklichen" wäre, der das Inferno des
Atomkrieges überlebt hätte.  Ausgerechnet zu der Zeit als die Amerikaner
sich von einer Demokratie in eine - ich möchte es mal Imperialdemokratie
nennen - gewandelt und angefangen hatten, dem irakischen Volk die gloreiche
"Befeiung" angedeihen zu lassen. Zu dieser Zeit war nicht einmal klar,
ob die Bundesrepublik nicht inzwischen auch zur Achse des Bösen gezählt
wurde.

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Bei den fünf offiziellen und den drei weiteren inoffiziellen Atommächten
unserer Welt mit insgesamt 16.500 Atomsprengköpfen (Quelle: SIPRI 2003),
stellt sich mir die Frage, wieviele Menschen insgesamt den Finger am
Knopf haben bzw. haben könnten, um die Kettenreaktion des 3. Weltkrieges
in Gang zu setzen. Was auch immer passieren mag, die Menschheit wird es
nicht verhindern können, wenn im Ernstfall die Antworten auf einen
Atomschlag gewissenlos nach Befehl, sei es durch Computer oder durch
Menschenhand, ausgelöst werden wird.

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Das Szenario für diesen Text liegt zeitlich nach dem 3. Weltkrieg.
Die Städte wären für Jahrhunderte unbewohnbar, mehr als dreiviertel
der Menschheit wäre ausgelöscht; mit ihnen die Infrastruktur und
das Wissen für die Aufrechterhaltung der technischen Errungenschaften.
Die Menschenheit wäre um mehr als einhundert Jahre in ihrer Entwicklung
zurückgeworfen. Die Überlebenden hätten sich zu Grüppchen zusamengefunden,
nachdem sie unter Schock stehend tage- und nächtelang umhergeirrt waren,
bis sie andere Opfer des Krieges trafen. Auf der Suche nach Nahrung und
trinkbarem Wasser zogen sie immer weiter und suchten in Höhlen Unterschlupf,
um den anhaltenden Fallout zu entkommen...

...unter anderem ein Mann, geboren irgendwann in den 1960ern, der
gedankenverloren und mit schmerzerfüllten leerem Blick den kleinen
Kindern zusehen würde, die sich mit mehr oder weniger ausgelöschten
Seelen und ausgeprägtem Hospitalismus am Feuer wärmen würden.





Verwendete Bilder:
0. Als Kind habe ich mich oft genug gefragt, warum die Deutschen den 2.WK
nicht verhindert hatten - in der Annahme, dass niemand Krieg machen kann,
wenn das Volk einfach nicht mitmachen würde.

1. Die Grundschuld des 2. Weltkrieges, die an alle folgenden Generationen
vererbt wird.

2. Es gab da jemanden, der sein Ehrenwort über das Gesetz stellte

3. Der grosse Bär = Sowjetunion - Der kalte Krieg

4. Der Adler = USA (klar, oder?)

5. Zerfall der Sowjetunion

6. Wiedervereinigung

7. ...die resultierenden Probleme

8. Ein "Nein" gegen die USA (unglaublich! - nicht nur gegen den Irak-Krieg)

9. "Befreiung" Iraks

danach der Schluss mit dem oben beschriebenen Szenario.

Kinderfragen

Als ich ein Kind war

- mit kollektiv gesenktem Haupt (1); aufgrund des auf uns lastenden und von oben
verordnetem Schuldbewustseins für die Greueltaten der für mich geschichtlichen
Generationen – und doch mit der Gnade der späten Geburt gesegnet, wie ein "Ehrenmann" (2)
dessen Namen man damals noch nicht kannte und heute nicht mehr kennen mag –
fragte ich mich: "Warum haben die es denn nicht verhindert?" (0)


Als ich ein Kind war

- Fragen stellte in gefühlter und tatsächlicher Unschuld - im Glauben daran,
daß es das Gute geben und dieses am Ende immer gewinnen würde. In dem sicheren
Bewußtsein, daß Erwachsene in ihrer unendlichen Weisheit aus den Erfahrungen der
beiden Weltkriege richtig handeln werden.

Als ich ein Kind war

- mit wohlgenährter Angst vor dem großem Bären (3), der in seiner Aggression Zähne
zeigend mit den Pranken am eisernen Zaun rüttelte. Aber auch mit der hoffenden
Sicherheit oder sicheren Hoffnung auf den Schutz, der sich unter den Flügeln des
Weißkopfseeadlers (4) bietet. So lugte unsere kükenhafte Nation über den Nestrand,
plusterte die Daunen, ließ sich füttern bis sie fett war und kümmerte sich
hauptsächlich um die eigene Verdauung.



Als ich kein Kind war

- mit Genugtuung zusah, wie sich die vermeintliche, um das Nest schleichende
Bedrohung selbst aushungerte (5). Miterleben durfte, daß historisch hysterisch
unser Land flügge (6) werden durfte und es unbeholfen flügelschlagend gegen den
nächsten Baum flog, um zwar unsanft, aber immerhin zu landen (7). Gleich darauf
Unrecht erkennend - spätpubertierend - die Stimme gegen die Ziehmutter erhebend,
endlich “Hotel-Mama” verlassend auf den eigenen wackeligen Beinen stand (8).



Als ich kein Kind war

- mit verzweilfelter Bestürzung ansehen mußte, wie die Mama sich vom Paulus
zum Saulus wandelnd, die politische Richtung dem Retro-Design anpassend, in
alte Kolonialzeiten verfiel. Durch die Nachrichten über die zukünftige
Verteilung der Beute angeregt, drängte sich zynisch die Frage auf, ob die
Sklaverei nun auch wieder das Mittel der Wahl sei, um einen vernüftigen
Verwendungszweck des - natürlich gereinigten - frisch eroberten humangenetischen
Materials zu finden (9).



Als ich kein Kind war

- fragte ich mich, ob alles so passieren wird, wie in den vielen Prophezeiungen
beschrieben. Machte im Geiste einen Haken an die Checkliste der Apokalypse und
fragte mich, was ich - wenn sich unsere Gegenwart in den Plusquamperfekt verzogen
hätte und falls ich alles er- und überleben sollte - also, was ich sagen könnte,
wenn mich ein Kind in unserer Wohnhöhle am Feuer sitzend fragen würde:



"Warum habt ihr es denn nicht verhindert?"



Und jetzt in dieser Höhle, bei dem Blick in die traurigen Kinderaugen, füllen
sich die Augen mit einer schuldigen - einer mitschuldigen - Feuchte und ich weiß,
daß keine Anstrengung zu groß hätten sein dürfen, anstatt damals zwar ausreichend
empört über den kriegerischen Akt, aber trotzdem Scheuklappen tragend den eigenen
Dingen zugewandt gewesen zu sein.



Wie hätten wir es verhindern können?
Wie hätten 6 Milliarden Individuen es verhindern können?